Vielleicht nochmal gut zu klären: Wie begreifen Kinder Aspekte von Sexualität in ihrem Alltag?
Hier will ich einfach nochmal beruhigen und allen, die erziehen die Kindersicht nahe bringen. Setzen wir uns also mal die verzierte kleine Plastikbrille auf: was weiss und denkt und fühlt das Kind, wenn es Küsse, hüftintensive Tanzszenen in Videos sieht, sexualisierte Schimpfworte hört und die ablehnende, manchmal auch emotionalen Reaktionen von uns Erwachsenen darauf? Vor welchem Hintergrund agiert es? Man schont die Nerven, wenn man sich öfter einlässt auf die Kinderperspektive. Denn dann wundert (oder erschrickt) sich auch nicht mehr, wenn kindliche Fragen, Feststellungen oder Worte kommen, die wir für peinlich oder „zu erwachsen“ für das Alter des Kindes halten. Denn dann ist es plötzlich normal, dass Zwei- oder Dreijährige mal den Penis untersuchen oder im Grundschulalter heftige Fragen auftauchen (ist halt so, aufgeschnappt). Also, wie ist der Blick auf „Sexualität“ geprägt?
Phase 1: Erst alles auf Entdeckungsmodus
Mit zwei Jahren hat man ja schon Worte für alles und vieles. Und das weiss das Kind. Es erkennt: bei Papa ist das anders als bei Mama da unten. Anfassen? Erkunden? Das will ein Kind einfach so, weil es noch längst nicht die Normen kennt, die es um die Genitalien und Nacktheit in unserer Gesellschaft gibt. Also ist es gut, nicht zu schimpfen und zurechtzuweisen, sondern die Worte für die Körperstellen zu vermitteln und Grenzen des Anfassens und Zeigens freundlich zu erzählen. Das gibt ein gutes Körpergefühl. Das Kind darf sich anfassen, sonst keiner, wenn es nicht will, außer Körperpflege ist dran. Denn kein Kind braucht Schuldgefühle zu entwickeln für seinen Körper und seine Suche, was da ist in der Welt.
Phase 2: Mit Neugier, ohne Hintergedanken
Wie gesagt, wir Erwachsenen sollten immer im Kopf behalten, von wo das Kind startet: Hintergedanken, Plan oder Gedanken, was daraus wird und die Befürchtungen, die wir Erwachsen schon immer haben, kennt es jedenfalls nicht.
Dementsprechend geht es – wenn die Kinder dann im Kitaalter ab drei Jahren das tun, was man Doktorspielen nennt, Körper und – Erkundungsspiele – nicht um sexuelles Begehren, geplante Lust, Handlungen am anderen zum sexuellen Vergnügen. Wenn Unterschiede zwischen den Genitalien mit Forscherdrang entdeckt sind und mental bekannt, wird das Ganze auch wieder uninteressant. Regeln dafür sind hier ausformuliert.
Phase 3: Identität finden in den Rollen
Ich nenne das jetzt übrigens Phasen, obwohl das keine festen, abgegrenzten Entwicklungsschritte sind. Aber so nach und nach folgt es in etwa aufeinander, mit Überschneidungen natürlich. Was ab drei Jahren vermehrt passiert, sind Rollenspiele. Die Kinder schlüpfen in die Geschlechtsrollen, Berufe, Prinz und Prinzessin, übertrieben, mit Spaß. Auch da muss man sich keine Sorgen machen, dass mal eine Tussi oder ein Macker daraus wird: es geht darum, Erwachsen zu spielen, in Teilen natürlich auch mal Identitäten anzuprobieren und mit dem Ablegen der Kleidung auch hinter sich zu lassen. Und wieder: alles nur ein Test. Wir Erwachsenen sollten uns nur das Feedback gut überlegen, ob sich nur Mädchen hübsch machen dürfen, zugleich wie begeistert wir auf das ganz Mädchen- oder Jungenhafte reagieren, welche Rollen wir Jungen gestatten… Schublade auf, Schublade zu: da sind wir schon in Geschlechterfragen unterwegs, ein anderes Thema.
Aus diesen Spielen entwickeln sich dann auch Nachahmung von Liebe, bis hin zum „Sexen“. Aber wie gesagt, bitte nicht vergessen, dass es nicht um Lustgewinn, Beziehung, echte Praktiken geht, sondern auf sich selbst bezogene Neugier, Verstehenwollen, Nachspielen.
Wichtige Sache: Wenn Kinder so spielen, sehen sie das nicht als echte sexuelle Handlung. Das interpretieren wir (wenn es anders wäre, wäre es ein Problem – weshalb ja auch ältere Kinder oder Erwachsene hier nichts zu suchen haben.) Kriterien für Mißbrauch, die Grenzen des Spiels findert ihr hier, auch ganz wichtig.
Nochmal zum Unterschied und Selbstvergewisserung die praktizierte Sexualiät Erwachsener: Erwachsene agieren in der Sexualität eher geplant, eher genital fokussiert, sind auf Erregung und Befriedigung aus. Auch die emotionale Spannung zwischen den Sexualpartnern spielt meist eine große Rolle, die Beziehung. Erwachsene wissen, was die Normen sind, kennen Befangenheit des Handelns und Körpers und sehen die problematischen Seiten der Sexualität.
Das alles trifft auf Kinder bis zum Grundschulalter nicht zu. Und eigentlich, so ist meine Erfahrung in den meisten Fällen: Wenn sie so reif sind, dass die Scham sich entwickelt, dass sie die Zweideutigkeit bei sexuellen Themen erkennen, ist es mit den Doktorspielen längst vorbei. Dann sind es wiederum noch ein paar Jahre, bis sie sich selbst wie Erwachsene ausprobieren, als Jugendliche und bald junge Erwachsene.