Wie sollen wir das „da unten“ nennen?

Warum es wichtig ist, dass wir Kindern Begriffe für die Genitalien weitergeben. Für jetzt und später.

Oh, der Bär vom Waschhandschuh für „da unten“ hat gar kein „da unten“. Unsere Kinder schon. Also benennen wir das, was dort ist. Das ist gut für’s Körperbewusstsein.

Sagen wir mal so: natürlich (ha) ist es am Natürlichsten, wenn wir beim Erziehen die Worte für die Genitalien weitergeben, die uns so vertraut sind. Weil es sich gut anfühlt: das können die Worte „Mumu“ oder „Möschen“ sein, „Pullermann“ oder „Piller“, was auch immer. Denn ebenfalls natürlich ist es ganz normal, dass die Worte, die die Anderen benutzen, uns komisch vorkommen. Wie kann man nur? Ja, ja, in intimen Fragen ist alles gleich ganz persönlich.

Aber ganz so selbstverständlich ist die Benennung nicht. Doch die Worte, Koseworte machen etwas mit dem Kind. Sie prägen, wie es seinen Körper an diesen Stellen kennenlernt und sieht. Dabei bleiben für Eltern auch Fragen: Soll unser Kind auch die medizinischen Begriffe kennen? Ja. Und dann: wann geht man ins Detail? Auch darauf gibt es gute Antworten. Gleich. Erst einmal möchte ich begründen, warum es wichtig ist, die Genitalien zum Teil auch schon in der Wickel- und Windelzeit liebevoll zu benennen. Die erste Antwort gleich vorweg: weil man damit den Körper erklärt.

Warum es wichtig ist, dass wir Eltern da unten konkret werden

Grund Nummer Eins: Weil wir damit die Landkarte des Körpers für unser Kind vollständig machen. Ein kleiner Ausflug in Literatur oder Film: Kennt Ihr das Buch oder die Serie „Unorthodox“ von Deborah Feldmann, in dem sie ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet? Sie schildert, wie Esther, eine junge Frau, die in der ultra-orthodoxen jüdischen Religionsgemeinschaft der Satmarer in New Yorker Stadtteil Williamsburg aufwächst. Das Mädchen erfährt erst mit ihrer Volljährigkeit, kurz vor der arrangierten Ehe, von einem „Loch“ im Schritt, das Frauen hätten, für die heilige Pflicht des Geschlechtsverkehrs. Und so stürzt sie auf die Toilette, sucht – und findet. Sie hatte ja keine Ahnung! Keiner hat ihr das je erklärt. Ungeheuerlich. In der Glaubensgemeinschaft ist Sexualität und – vor allem der weibliche – Körper ein Tabu.

Doch da auf der Landkarte von Estys Körpers bislang weder eine Klitoris, noch eine Vagina verzeichnet war, kennt sie beides auch nicht. Es ist kein Körperbewusstsein dafür entstanden, kein Gefühl. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Schon gar nicht auch nur eine Ahnung, dass man dort etwas aufnehmen kann, positive Gefühle entwickeln kann. Darum ist es ihr nicht möglich, bei der anstehenden Hochzeitsnacht Verkehr zu haben, geschweige denn die körperliche Begegnung zu genießen. Medizinisch gesehen lautet die Diagnose Vaginismus. Bei diesem Syndrom macht die Vagina dicht: unwillkürlich spannen sich die Muskeln um die Scheide schon beim Versuch, einen Finger oder einen Tampon einzuführen krampfhaft an. Ein sexuelles Beisammensein ist kaum möglich, nur unter Schmerzen. Angst, Schmerzen, psychische Belastung sind die Folge.

Kurzer Rede langer Sinn: Wenn ein Mensch keine Kenntnis von einer Stelle des Körpers hat, entwickelt sich auch kein Bewusstsein dafür. Und wenn wir mit unseren Kleinen begeistert „Kopf und Schulter, Knie und Fuß“ singen und Bilderbücher dazu studieren, „da ist der Bauchnabel“, gehören ganz natürlich die Genitalien auch dazu beim Kennenlernen. Nach und nach mit allen Details. und Namen. Nur so kann ein kleiner Mensch nach und nach den eigenen Körper vollständig in Besitz nehmen. Ich würde sogar sagen: jedes Kind hat ein Recht darauf.

Grund Nummer Zwei: Weil „der kleine Unterschied“ im Höschen von Jungen und Mädchen bislang bei der Benennung größer gemacht wird, als nötig, sollten wir beide gleichermaßen begleiten. Viele Eltern gehen damit sehr bewusst um. Der kleine Unterschied ist biologisch eben doch groß: beim Jungen ist das Wichtigste kaum zu übersehen, prominent: Hoden, Penis, Eichel, der Schaft mit den Schwellkörpern. Und schon früh, auch schon im Mutterleib und später auf dem Wickeltisch wird, etwas salopp gesagt, das Ding durchblutet, zeigt eine Erektionen. Dass Mädchen Entsprechungen all dieser Organe haben, dass sogar das mit der Durchblutung bei ihnen passiert, ist kaum bekannt oder bewusst.

Während Jungen sich dort automatisch anfassen – schon um beim Pipimachen gut zielen zu können, ist es beim Mädchen, so scheint mir, weniger akzeptiert, wenn es selbstvergessen berührt, was dort ist. Da heißt es schneller: „Das macht man nicht.“ Natürlich müssen alle Kinder lernen, dass „man“ das nicht macht, wenn andere dabei sind. Aber Toleranz und Verständnis sollten gleich sein.

Darum ist es extrem wichtig, dass nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen die Landkarte ihres Körpers erschlossen wird. Damit ein Bewusstsein entstehen kann, was man hat und dass jedes wunderbare Detail des Körpers einen Sinn und eine Funktion hat.

Grund Nummer Drei: Wer Worte hat, kann darüber sprechen. Und lernt, dass man darüber sprechen kann, zumindest mit den allervertrautesten Personen. Das ist ein extremer Vorteil, zum Beispiel, wenn ein Kind jemanden braucht, dem es anvertrauen möchte, wenn etwas nicht stimmt. Von Aua bis zum Anzeigen eines Unwohlseins, wenn beim Spielen Grenzen übertreten worden sind, bis (leider) zum Übergriff. Ganz schön ernst, das Thema plötzlich. Zum Glück ist das mit dem Benennen gar nicht schwer.

Welche Begriffe wirklich gut sind

Klare Antwort: Penis, Hoden, Vagina (innen), Vulva (außen). Auch gerne Eichel, und dementsprechend – warum nicht im Kita-Alter, in dem der Körper auch genauer kennengelernt wird – auch die Klitoris entsprechend dazu. Am Begriff Scheide scheiden sich die Geister: für die einen ist es der vertraute Begriff, klingt doch ganz neutral oder? Die anderen weisen darauf hin, dass eine Scheide per Definition eine Hülle ist, in die Dinge eingeführt werden, Schwerter und so, die furchtbar wichtig sind. Das klingt passiv, geringgeschätzt und mit minderer Funktion im Vergleich zum mächtigen, aktiven Gegenstück. Dabei ist es anders, die Vagina ist nicht nur eine aufnehmende Hohlform. Nein, sie fühlt mit, kann aktiv umschließen, Frauen können die Muskeln spielen lassen und Erregung fühlen. Differenzierter als manches Schwert.


Ich persönlich denke bei Scheide allerdings auch an eine Stelle, die in zwei Hälften teilt, wie die im geographischen Begriff der Wasserscheide. So gesehen teilt die Scheide auf in zwei Körperhälften, hier wird geschieden. Nun ja. Was aber zählt, ist dass man diese Frage mal mitbedenkt beim Benennen. Wirklich alle Kinder sollten aber diese neutralen, medizinisch korrekten Begriffe kennen, nicht nur die süßen, freundlichen Koseworte. Aus diesen zwei Gründen:

  1. Wenn etwas damit nicht in Ordnung ist, es weh tut, sich etwas krank anfühlt, aber auch etwas damit passiert ist, was nicht in Ordnung ist, sollen Kinder Worte dafür haben, und zwar korrekte, für alle verständliche Begriffe. Das hilft etwa in der Kita gegenüber den Erzieher*innen, beim Arzt oder Ärztin oder im Krankenhaus und uns Erwachsenen gegenüber.
  2. Die neutralen Begriffe sind auch Worte, die man benutzen kann ohne gehänselt zu werden, ausgelacht von denen, die von zu Hause vielleicht andere Begriffe kennen.

Was ist mit Koseworten?

Familieninterne schöne Begriffe, ob Phantasieworte oder die bekannten Namen sind fein – zusätzlich zu den neutralen Begriffen. Vielleicht muss man auch mal gucken, dass man beim Älterwerden die völlig verniedlichen Worte sein lässt. Vielleicht passt Pillermännchen nicht mehr, wenn das Teil schon eine anständige Größe hat. Wie gesagt, Worte schaffen Bewusstsein, für das, was ist. Oder auch nicht.

Was sagt man zur Funktion? Also: wofür sind Scheide und so weiter da?

Wieder haben es die kleinen Jungen einfacher: bei ihnen ist einfach offensichtlich, wo die Pipi herauskommt. Und natürlich spüren sie von selbst, dass die Spitze des Penis total empfindsam ist. Dass die Hoden später mal die Keimzelle, buchstäblich, für die Samenzellen sind, die man braucht, damit ein kleiner Mensch entsteht, ist wenig strittig. Das erzählt sich ganz einfach weg, in Vorschul- und Grundschulzeit noch genauer.

Darum sollten wir auch das Selbstbild des Körpers von Mädchen realistisch in Worte fassen. Ich finde es wichtig, dass man auch schon dem kleinen Mädchen erklärt, dass die Pipi nicht einfach aus der Scheide kommt. Sondern aus einer kleinen Öffnung, dem Ende der Harnröhre. Erinnerung für alle: das liegt einen Zentimeter innerhalb des Eingangs der Vagina an der vorderen Wand. Das kann, wer will, beim Wasserlassen, Pipimachen, wie auch immer ihr sagen wollt, auch spüren.

Auch passend kann sein (muss und genau perfekte Zeit gibt es nicht), dass man, wenn die Erkundungszeit losgeht und Kinder genauer gucken, was es dort unten – sagen wir ruhig an den Genitalien – alles gibt. Um und mit etwa drei Jahren kann man zumindest sagen, dass es die Perle, Klitoris gibt, ein besonders empfindsamer Punkt am Körper, auch, dass die Scheidenlippen der Eingang der Vagina behüten. Und wenn gefragt wird, woher die Kinder kommen, erklärt man ganz im Körper versteckte Organe, wie Eierstöcke und Gebärmutter. Genaues dazu findet ihr dann im Text zum Thema: „Woher kommen die Kinder?.“

Und viel schwieriger ist es auch nicht. Ihr schaut, erklärt, das, was das Kind verstehen kann, womit ihr Euch wohlfühlt, das andere kommt dann später. Schritt für Schritt hält man mit dem Alter mit. Mit dem, was sie verstehen können, und mit dem Wissen, das sie brauchen, um in ihrem Umfeld zu bestehen. Was wann dran ist, erkennen wir als Eltern und entscheiden letztlich auch mit unseren Werten und Gefühlen. Aufklären bedeutet aber eben auch er-klären, was da ist. Das Recht haben Kinder.

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