Ist Sexualität überhaupt ein Thema für Kinder?

Wir sind befremdet, wenn die Begriffe Sex und Kinder in einem Satz vorkommen. Doch die Sexualität ist ein Teil der Welt – den wir beim Erziehen passend zum Alter erklären.

Ich weiß: nicht immer ist die Welt voll rosa Herzen. Ein bisschen düster wird uns Eltern zumute, wenn Kinder Seiten der Sexualität ansprechen, die uns verunsichern, die wir nicht richtig finden für das Alter unserer Kinder. Das passt doch nicht!


Porno zum Beispiel, als Wort, Frage, Möglichkeit des Betrachtens im Grundschulalter. Nein. Für andere ist es lesbisch, schwul, die gleichgeschlechtliche Liebe ein Reizwort. Die meisten von uns finden es ärgerlich, wenn es immer noch abwertend gebraucht wird. Oder, wie ich von einer Drittklässlerin abgelauscht habe: „Du bist pervers“, ärgerte sie ihre Freundin. Und war sehr verletzt – dabei wussten beide nicht einmal, was das bedeutet. Schlimm, halt, sexuell, verrucht, völlig daneben. Bei allem Unwissen reichte das zu einem dicken Streit und emotionalem Weh.

Ein Herz für die Liebe. Doch bei manchen Aspekten der Sexualität haben Eltern den Implus, erst mal eine Mauer zu ziehen. Was tun?
Foto: Jude Beck / Unsplash

Und wir? Manche bleiben cool. Mir ging es, ehrlich gesagt, wie vielen Eltern wahrscheinlich: Ich bin erschrocken. War erst mal sprachlos, als es hieß: „Die Jungs sagen, sie haben schon einen Porno geguckt.“ Echt jetzt, in der dritten Klasse? Ich wurde auch ein bisschen nervös, als das mit dem Doktorspielen anfing. An einem Tag spielen sie mit Puppen, am anderen heißt es „pervers“ oder ja, es gab auch das Wort „Fi..en“ und „Fo..e“. Ich mag beide nicht, darum schreibe ich sie nicht auf.

Scheinbar bricht da etwas in eine heile Welt ein. Wo haben die das bloss her? Was jetzt hilft, ist: mal nachdenken, wie das mit der Sexualität, die sie so mitbekommen, von der sie hören, die sie sehen, aufschnappen für Kinder ist.

Und das ist auch die Antwort auf die Frage oben: Ja, Sexualität ist natürlich ein Thema für Kinder. Weil sie schlicht und einfach ein wichtiger Aspekt im Umfeld und Aufwachsen sind. Menschliche Natur. Natürlich passen wir Eltern die Erklärung, die Inhalte auf das Alter und Entwicklung des Kindes an. Aber wir können eben nicht negieren, dass unsere Kinder auf Schritt und Tritt konfrontiert sind mit Aspekten von Sexualität: Heiraten, Küssen, Kinder kommen auf die Welt, Hüftbewegungen der Tic-Toc-tanzenden Größeren, zweitdeutige Witze, die sie mit bekommen, sexualisierte Sprache, Germanys next Topmodells leicht bekleidet, Männer mit Bergen von Muskeln. Und wir Erwachsene sollten das für unsere Kinder einordnen, wenn es dran ist.

Perspektivwechsel: Schauen wir uns „die Sexualität“ aus Kindersicht an

Profis in der sexuellen Bildung sprechen immer davon, die erwachsene Brille, mit der wir auf Sexualität schauen abzusetzen. Darüber schreibe ich auch in einem anderen Blogbeitrag, zum kindlichen Blick auf Sexualität. Wir Erwachsenen denken natürlich auch immer alle Gefahren, Ambivalenzen und Abgründe der Sexualität mit. Die Brille, in der man – wie wir es oft tun – Sexualität gleichsetzt mit Geschlechtsverkehr und den Tabus und Intimitäten draum herum.

Selbstversuch: Stellen Sie sich vor, Sie sind in einer fremden Welt. Ein wenig verstehen sie die Sprache, einiges haben Sie sich auch schon abgeguckt. Aber wie in einem bestimmten Bereich des Umgangs miteinander, den verstehen sie noch nicht. Alle sagen: das ist nichts für dich. Das verstehst du nicht. Aber sie sehen einiges davon, in Filmen. Sie sehen Menschen, die die Münder so intensiv aufeinander pressen. Ihnen wird manchmal nachgerufen, ein Schimpfwort, das Sie aber auch nicht kennen. Sie sind neugierig. Alle scheinen zu wissen, was da gemacht wird, aber Sie sind außen vor. Und je länger sie in dieser Welt sind, um so klarer wird: das ist total wichtig. Auf einiger der Begriffe reagieren die Einheimischen heftig, schweigen, verhaspeln sich. Was wollen Sie verbergen? Sie benutzen also die Worte auch, probieren sich aus. Aber so richtig passt es nicht, man weist sie zurück. Ein netterer Einheimischer nimmt sie dann einmal beiseite, um zu erklären…

Ich weiß, dieser Vergleicht ist echt banal. Aber versteht man…. unsere Kinder können sich wirklich nicht vorstellen, worum dieses Gewese gemacht wird. Klar, es ist ihnen ja auch fern, der Erwachsene Sex. Und trotzdem, sie reifen: in Rollenspielen erspielen sie sich eben nicht nur „ich gehe arbeiten“, sondern „ich lebe in meinem Geschlecht und so geht das“ bis hin zu „wie geht Sex“ (geht natürlich nicht in echt, ist gespielt) bis zu „wie geht küssen?“ Ich weiss noch, wie ich mit einer Freundin, ich muss 11 Jahre gewesen sein ausprobieren wollte, dass wie Küssen wohl so ist. Immer näher, große Augen, fühlt sich komisch an… ein Zentimeter vor dem Zusammentreffen der Lippen sind wir lachend zusammengebrochen. Das war zu viel Intimität, für uns beide das Gegenüber vom falschen Geschlecht. Gute drei oder vier Jahre später kamen dann die erste Versuche mit dem ersten Freund.

Darum: Wir sollten uns die Brille des Kindes aufsetzen. Jedes mal, wenn es fragt oder etwas entsprechendes erzählt. Die Worte sind weder (doofes Wort) „frühreif“, noch unbedingt „frech“, sondern unbedarft, vom anderen Stern, aktuell aufgeschnappt und offenbar in der Lebenswelt und Aufmerksamkeit des Kindes angekommen. Wie man so schön sagt: es ist dran. Etwas, das unser Kind beschäftigt. Und dann ist eben Sexualität, bzw. nicht gleich alles daran, sondern der Aspekt, Begriff, doch etwas, was man bespricht, dann ernsthaft und wahrhaftig. Und kein Problem, sehr weit in die Tiefe gehen muss man nicht. Aber ehrlich sein. Kindgerecht erklären, ohne zu verniedlichen. Je kleiner das Kind, desto weniger Details braucht es. Meist reichen bei kleinen ganz einfache Sätze. Und je größer sie werden, desto realistischer wird der Blick.

Seien wir doch – um im Bild des kleinen Selbstversuches von oben zu bleiben der nette Einheimische, der eine Fehleinschätzungen oder Fehltritte verhindert. Wahrhaftig ist übrigens immer wichtig – vor allem wenn man daran denkt, dass die Kinder untereinander auch sprechen, necken, besserwissen. Und wenn dann eine Information falsch ist, lachen die anderen den oder die eine aus. Wollen wir nicht.

Die Haltung des Kindes zusammengefasst

  • Ohne Schamgefühl. Denken Sie daran, die Tabus, das Schamgefühl, intime Grenzen kennen kleinere Kinder, in der Kita vor allem noch nicht. Deshalb ist ein erwachsenes Urteil im Sinne des Ver-Urteilens fehl am Platz. Auch kein: das ist noch nichts für dich. Ordnen sie das lieber ein, halt passend zum Alter, mit wenigen (wahrheitsgemäßen) Worten. Und Achtung: Sie sind gerade dabei, einem kleinen Menschlein dabei zu begleiten, ein bisschen etwas von Liebe und Körper, Grenzen, Regeln und Chancen zu vermitteln.
  • Mit Neugier. Wundern Sie sich nicht, warum forschen und ausprobieren. Dazu gehört eben auch, dass es daneben geht, aber es ist einfach ein Test, aus Neugier. Das Interesse ist groß, mit Worten zu hantieren, die ganz schon heftige Wirkung hervorrufen. Es ist auch echt schwer, sich einen Reim zu machen (auf der anderen Seite manchmal auch ganz einfach: Liebe gibt’s halt. Wo sie hinfällt…). Unerklärlich sind manchen Sachen, die Erwachsene tun. Aber Tatsachen. Auch das ist eine gute Erklärung. Und klar sind all die Begriffe besonders interessant, bei denen man auch einen Erwachsenen auf die Palme oder aus der Fassung bringt!
  • Buchstäblich keine Ahnung. Kinder können sich echt nicht vorstellen, wie das sein soll, wenn man erwachsen ist und miteinander so komische Sachen macht, die sie wirklich noch nicht machen können. Es ist also alles eine Annäherung, pro forma. Dem nun WIRKLICH nahe zu kommen, das startet rund um die Pubertät. Und die persönliche Auseinandersetzung mit Sexualität, so viel kann man jetzt schon sagen, bleibt uns Menschen erhalten bis ins hohe Alter. Wir sind Wesen, in denen Sexualität wohnt, von Anfang bis Ende.

Und so setzen wir am Ende die erwachsene Brille wieder auf und merken: alles nicht so kompliziert. Wir sehen wirklich andere Dinge, mit der Erfahrung, den Jahren. Die Kinder wachsen nach und nach hinein, und nach und nach vermitteln wir, erfahren sie aber auch das ganze Bild. Rosa Herz vor dunkelblauem Grund.

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