Gespräche darüber sind heikel. Und trotzdem ist es gut, wenn Eltern Kindern in der Pubertät eine realistische Einschätzung zu Mainstreampornos geben
In einem verwandten Beitrag fasse ich weitere Fakten zum Thema Pornographie für Eltern zusammen, als Orientierungslinie. Dabei möchte ich Pornographie nicht diffamieren. Sie kann ein Mittel der Gestaltung des Sexuallebens sein. Sie kann Genuß und Errregung bringen. Es gibt Macher, und Filme, die sich um mehr Geschmack, Respekt, Realität bemühen.
Dennoch hat der Porno-Mainstream mit der Realität häufig so viel zu tun wie ein Actionfilm mit Wannen voll Blut und einem Dutzend Leichen mit dem echten Leben. Darum finde ich es wichtig darauf hinzuweisen, warum Porno eine Irr-Realität ist, und zwar auf drei Ebenen. Dieser Teil des Textes ist darum für Eltern von Teenies und Jugendlichen passend, und für alle anderen bietet er einen vorsichtigen Ausblick. Die Infos können vor allem für sexuell solo-aktive heranwachsende Jungs wirklich wichtig sein, sprich die, die viel zu den Bildern masturbieren: Vielleicht können die Fakten, die gleich kommen gerade rücken, was in Pornos ver-rückt dargestellt wird in Sachen Sexualität. Denn kommt die erste Freundin ins Spiel, bieten die hypersexualisierten Szenen keine gute Orientierung.
1. Alles über die Irr-Realität der Sexualakte
Stellen wir uns einen Teenie vor, der sich fragt: Wie geht man (beim ersten Mal) im Bett miteinander um? Wie kommt die Erregung, für beide? Wie merkt man, was der andere will? Und nun – wie ist das im Sexfilmen, die doch statistisch vor allem Jungen häufig konsumieren? Natürlich nicht wie in Realität.
Denn in Pornos…
- geht Sex immer überall, ständig,
- sind alle immer bereit,
- wird ständig die Stellung gewechselt,
- werden in Wirklichkeit unangenehme, anstrengende Sex-Positionen bis zum Analverkehr genau wie der Stellungswechsel locker durchgeführt. So einfach geht das real nicht.
- sieht man Geschlechtsteile plakativ in Großaufnahme,
- männlich gefiltert, denn gefilmt ist fast immer aus der Perspektive des Mannes, für ihn erregend,
- ist die Erregung immer (gleich) hoch,
- klappt immer alles ohne Absprache
- geht es Zielführend im Sprint zum Höhepunkt. Ein realer Liebesakt ist doch eher eine Mittel- oder Langstrecke im Vergleich.
2. Alles über die Irr-Realität der Körper
In Pornos…
- hat kein Mensch auch nur ein Haar (oder Pickelchen) an der falschen Stelle, Achtung, Filter,
- sind die Männer durchtrainiert, breitschultrig und haben Waschbrettbäuche,
- ist das Ding der Darsteller megagroß, lang und immer dick. Gut zu wissen: auch hier wird gecastet, operiert und retuschiert!
- ist die Scham der Frauen glatt, die inneren Labien immer ansprechend rosa, ragen sittsam klein auf keinen Fall über die äußeren hinaus. Dieses Idealbild wird auch Brötchen genannt und entspricht eher einer kindlichen Scham, denn der natürlichen Aussstattung einer erwachsenden Frau. Scham und Unglück über ganz natürliches Aussehen, das nur vermeintlich falsch ist, sind übrigens der Hauptsgrund für Schönheitsoperationen im Schritt. Vermutlich wissen die meisten Jugendlichen (und ehrlich, auch Erwachsenen) gar nicht, was normal ist.
- haben Frauen natürlich auch Idealmaße mit größeren, runderen oder spitzeren Brüsten als die durchschnittliche Frau. Dank OP oder gut gecasteten, knackfrischen jugendlichen Körpern hängt hier kein Busen.
- gibt es keine Vielfalt der Körper. Vielmehr herrscht echte Einfalt. Barbie und Ken, überall oder pornöse Kurven.
3. Alles über die Irr-Realität der Rollen
Im durchschnittlichen Porno…
- sind die Rollen klar verteilt: er pumpt, sie findet es bis zur Besinnungslosigkeit super,
- sind Partnerinnen immer bereit zu tun, was der Partner will,
- lassen sich Partnerinnen weh tun und Dinge mit sich tun, die die meisten Frauen vermutlich nicht genießen,
- geht es häufig nah an Gewalt heran: in einer Studie von 2005 mit den meistgesehenen Pornos enthielten 90 Prozent der Akte gewaltvolle Handlungen.
- sind die Teilnehmenden Objekte ohne Persönlichkeit, Geist und Seele. Gibt es das in einem anderen Filmgenre? Mir fallen nur Statistenrollen und Computerspiele ein.
Das alles, püh, müssen nun erst einmal wir Großen wissen und verdauen. Wie stellen wir uns gegenüber unseren heranwachsenden Kindern dazu? Müssen wir? Viele Erwachsene denken, dass Jugendliche schon von alleine verstehen, dass Porno keine Realität darstellt. Das bestätigt eine Studie des Instituts für Sexualforschung am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Jugendliche verstehen gut, das die Sexfilme überzogen sind und übertragen die Szenen nicht eins zu eins in Selbstversuche, die potenzielle Partnerschaft, ins Jugendzimmer.
Auf der anderen Seite wissen wir: Bilder prägen. Es bleibt etwas hängen im Kopf, im Gefühl. Kritische Reflexion klappt nicht immer, dass sehen wir, wenn wir mal wieder doch das angepriesene Markenprodukt kaufen statt die günstige Variante. Darüber hinaus sind Pornos nicht dafür bekannt, dass man ihren Wahrheitsgehalt unter Freunden kritisch diskutiert. Darum ist es eine vertane Chance, wenn Jugendliche allein bleiben mit falschen Eindrücken. Die Bilder können Erwartungen schüren, die keiner Relität stand halten.
Da sitzen wir Eltern ein wenig zwischen den Stühlen. Soll man über ein Thema sprechen, das noch keines ist? Wie mit der schamhaften Abwehr umgehen, die Jugendliche zeigen? Dennoch: es gibt Strategien, wie oben aufgezeigt. Hier fasse ich nochmals kurz zusammen:
Die erste Strategie: Klammert das Thema Sexualität auch schon in der frühen Kindheit nicht total aus. Zeigt, dass man darüber reden kann. Mit Euch als Eltern, mit engsten Vertrauten. Das ist wichtig und zeigt: Bei Verwirrung hat jemand Antworten, in Beziehungen muss man unterschiedliche Haltungen ausgleichen.
Die zweite Strategie: Reagieren, wenn ein Input kommt, den ihr bei den Kindern kritisch seht, etwa in Filmen, bei Schimpfworten, Szenen im echten Leben, Kleidung. Das vermittelt Haltung.
Die dritte Strategie: Gebt manchmal ungefragt einen Kommentar ab oder ein paar Werthaltungen weiter, wenn ihr es für richtig und wichtig haltet, auch zu Pornografie. Sie kann ja auch schön, anregend und respektvoll sein, siehe Malerei oder Fotografie im Museum. Oder auch nicht. Über Grenzen zu sprechen hilft jedenfalls, sie wahrzunehmen und einzuhalten.