Wieso spielen Kinder Doktorspiele?

Alarm? Oder doch cool bleiben? Klären wir doch mal, warum Kinder überhaupt Doktor (und so) spielen.

Auf Herz und Nieren! Körperspiele nennt man es, wenn der Körper im Mittelpunkt steht. Spannend für alle Beteiligten. Im Vertrauen und mit Vorsicht sind sie eine gute Erfahrung.

Also, irgendwie wird uns doch mulmig. Sex. Sex und Kinder? Und das auch noch heimlich. Noch unheimlicher finden wir das, wenn wir Großen keinen Überblick über das Herumdoktorn der Kleinen haben. Zum Beispiel: „Die beiden haben sich gegenseitig in die Hose geguckt. Adam hat sogar gefragt, ob Philipp mal anfassen will“, hat eine Freundin mir amüsiert von ihrem Sechsjährigen und seinem Freund erzählt. Oder: „Die Mädels lagen aufeinander und haben sogar Bewegungen gemacht wie Erwachsene beim Sex.“ Das fand eine andere Freundin dann schon irgendwie komisch für Drittklässlerinnen. Kann man verstehen. Weil wir uns sofort fragen: Was bedeutet das? Was steckt dahinter? Passiert womöglich etwas Schlimmes?

Welche Regeln man den Kindern dafür mitgeben kann und wie man sie schützt, darüber gibt Euch der Artikel zu Regeln für Doktorspiele Auskunft. Hier geht es erst mal um eine Einschätzung der Spiele.

Warum machen Kinder Doktorspiele?

Und was soll man tun, wenn man merkt: Hu, es ist (…ja, …. war schon…) soweit? Erst mal kann ich empfehlen: tief durchatmen. Schimpfen oder Erschrecken sind nicht nötig. Besser ist es jetzt, wenn man erst mal in Ruhe überlegt, was wirklich passiert ist. Sich näher anschaut, was unsere Keinen da tun und warum. Also, gucken wir, mal.

1. Kinder sind neugierig. Darum spielen sie – auch – Doktor

Von drei bis vier Jahren an bis ins Grundschulalter geht es vornehmlich darum, die Welt zu erfassen: Was gibt es alles? Dazu gehört auch: Okay, jetzt weiß ich, wie ich da unten aussehe, aber was ist mit Phillip? Wie ist es bei Größeren? Das ist unglaublich faszinierend, natürlich mindestens doppelt so spannend wie Fuß, Finger oder Nase. Und je kleiner das Kind, umso mehr gehört das Begreifen dazu, inklusive anfassen. Zugleich ist klar: Je kleiner der Mann oder die Frau, desto weniger sind erwachsene Schamregeln, gesellschaftliche Grenzen, was Körper und Intimität betrifft bekannt. Weshalb es bei kleinen Kindern wirklich um gucken und erfahren geht. Ohne anzügliche Hintergedanken, die pflegen nur wir Erwachsenen. Übrigens lernen Kinder dabei ja auch freundlich und zugewandt erste Grenzen lernen: Beim Kontakt mit Kindern oder den Eltern im Bad kann man erklären was privat ist, dass der andere Grenzen an seinem Körper setzt. Weil der Körper ihm oder ihr gehört und ein privater, geschützter, empfindlicherer und empfindsamerer Bereich ist als die Hand oder der Fuß. Vielleicht reagieren Papa und Mama auch unterschiedlich. Auch gut zu wissen.

2. Kinder üben und lernen in Interaktion

Kinder im Vorschul- und Schulalter wissen dann schon, dass solche Intimität sanktioniert wird und ziehen sich zum Spiel zurück. Schlau. Nacktsein tut man eben nicht offen, über „so was“ sprechen, Intimes zeigen auch nicht einfach so. Trotzdem ist die Neugier da: Was machen die Großen da? Positiv gesehen kann man über Körperspiele, von echtem „Ich bin der Doktor und untersuche dich“ und Heile Gänschen über Nacktheit bis zum probeweisen Körperkontakt sagen: Da ist Neugier und eine neue, bisher unbekannte Situation, in der man verhandeln muss: Was interessiert mich? Was darf ich? Wie weit dürfen wir gehen? Der Prickel der Heimlichkeit und Verbotenheit macht es natürlich spannend. Sie loten die Grenzen aus. Auch dass muss man üben.

Noch ein Aspekt zum ruhig bleiben: ein ganz gutes Gefühl als Eltern kann man haben, wenn das Doktorspiel zuhause und mit dem besten Freund, mit der besten Freundin passiert, die auch wir gut kennen. So im Vertrauen, dass sich beide einig sind und vorsichtig. Kinder, die gut, vielleicht sogar schon respektvoll miteinander umgehen. Da geht Neinsagen, Aufhören wahrscheinlich gut. Man kann dabei lernen, seinen Gefühlen zu vertrauen. Wann eben Schluss ist. Dazu können Eltern, siehe auch unten, auch mal nachfragen, ob bei dem Spiel alles gut verlief und stärken: Du machst nur mit, was du willst. Wenn Ihr so ein gutes Vertrauensverhältnis zum Kind habt, dürft Ihr Euch gratulieren! Übrigens ist es beim Doktorspiel wie bei allen Phasen: Sie kommen, sind unterschiedlich stark oder schwach je nach Kind hören dann einfach von selber auf.

3. Kinder spielen beim Doktorspiel nach, was sie gesehen oder gehört haben

Was, die Mädchen lagen aufeinander und haben etwas gemacht, was aussah wie Geschlechtsverkehr! Wo haben sie das bloss her? Das ist oft der erste Gedanke. Und mir fiel auf: Klar sehen Grundschulkinder solche Szenen mal in Filmen, selbst in der Werbung räkeln sich Paare auf Betten. Natürlich wissen sie längst, dass man nackt beieinander liegt. Lasst uns mal dran denken, was die Kinder da im Spiel erleben. Sonnenklar nicht das, was wir Erwachsene fühlen. Wenn ein Kind spielt, es geht ins Büro, geht es ja auch nicht echt zur Arbeit. Das Spiel ist, so weit vor der Pubertät wie eine Trockenübung, mal sehen, wie fühlt sich das an, was steckt dahinter? Bleiben wir also ruhig, so lange es Spiel ist. Und die Regeln klar.

Ist es also schlimm, wenn Kinder Doktor spielen?

Die Antwort könnt Ihr jetzt schon selbst geben: Nein. Es ist normal. Kommt und geht, und dabei wird auch wirklich etwas gelernt, Nähe, Intimität, Distanz, und, wichtig: Grenzen. Die eigenen spüren, die Grenzen der oder des anderen wahren, akzeptieren. Ja, ohne uns Eltern. Ja, das ist komisch. Ich habe auch geschluckt, und auch nachgefragt oder ehrlich gesagt, ein bisschen öfter nachgesehen, wenn ich geahnt habe, da wird an der Grenze gespielt. Das ist es auch, was uns unruhig macht. Ein Thema, das „eigentlich nichts für Kinder“ ist. (Dazu gibt es hier auch einen Text.) Sie aber umso brennender interessiert: Warum machen die Erwachsenen bloss so einen Bohei darum? Wir können uns sicher sein: wenn Kinder häufig Doktor, oder Liebe spielen treiben diese Fragen die Kinder gerade echt um. Und dann ist es so wie bei Vorschülern, die ständig Schule spielen. Sie wollen vorahnen, wie es ist, arbeiten mit den Vorstellungen, die sie haben – aber es passiert dann keine Realität, sonden eben, ein Spiel, ein als ob.

Selbstversuch: Stellen Sie sich vor, wie es sich wohl für ein Kind anfühlt. Da ist ein Thema, das den Großen enorm wichtig ist. Sie kichern. Sie machen oft Witze drüber, die versteht man als Kind nicht. Es geht um Nacktheit, Liebe, aber auch manchmal Ekliges, Unmögliches, Peinliches, aber auch ganz starke Gefühle. Man hört Schimpfworte, die man nicht versteht, auf die alle aber heftig reagieren. Fragt man als Kind nach, heißt es oft nur: das ist nichts für dich. Für Kinder. Wie soll man sich also bitte darauf einen Reim machen? Und dann sieht man manchmal was, in einem Film, im Internet, in echt Jugendliche knutschen, Paare beieinander liegen, Plakate, Bilder in Zeitschriften. Also: Wie soll das gehen? Wie fühlt sich das an? Was soll das alles? – Wie würden Sie sich fühlen?

Ich möchte nun aber auch sagen: Natürlich ist nicht jedes Körperspiel gut. Ich sage nur: man sollte nicht dem ersten Erwachsenenimpuls folgen, der oft nur Gefahren und Erwachsenensexualität sieht. Schlau ist eher die Strategie, das als Erwachsener zu versuchen, gut einzuschätzen und dann in der Familie Regeln dazu besprechen, die das Kind dazu befähigen, sich vor schlechten Erfahrungen zu schützen. Man kann auch aussprechen, dass es gute und weniger gute Erfahrungen dabei geben kann. Dass es schwerfallen kann, die Grenze zu wahren, das aber wichtig ist. Wenn wir das mit unserem Kind besprechen können, ist das schon sehr viel wert. Und wir können ruhiger bleiben. Und bitte auch vermitteln: Dass körperliche Nähe unter Erwachsenen im besten Fall vor allem eins ist: Ausdruck von Liebe und ein wunderschönes Gefühl, wenn man groß ist.

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