Gibt es gute Regeln fürs Doktorspiel?

Ja! Ein paar Grund-Sätze geben Sicherheit, und die sollte jedes Kind kennen – denn sie setzen zugleich Grenzen gegen Missbrauch.

Lieben Lernen. Ja, zur üblichen Entwicklung gehört oft auch das kindliche Spiel rund um Kitzligkeiten, den Körper und Intimität. Manche Kinder versuchen Küsse und kriegen einen Lachkrampf. Manche spielen Paar-Alltag. Andere gucken den Bauchnabel an und forschen weiter unten. All diesen Körper- und Erkundungsspielen ist aber der Grund gemeinsam, und der lautet: wer aufwächst, versucht Rätsel zu lösen. Etwa, eine Idee davon zu entwickeln, was Erwachsene in Liebe und Partnerschaft miteinander anstellen. Wenn sie knutschen (ih!) und beieinanderliegen (komisch, es heißt, die machen das nackt).

Ein Blick in die Zukunft: Ganz herausfinden und nachfühlen, was hinter den Beobachtungen steckt werden Kinder erst dann, wenn sie wirklich erwachsen werden und als junge Erwachsene erste, eigene und ernsthafte Erfahrungen sammeln. Übrigens wissen wir Großen: bis man sich in Körper und Liebe ganz sicher fühlt, dauert es selbst nach den ersten Geh- und Liebesversuchen später, in der Pubertät noch einige Jahre.

Klar sollte uns sein: im Kita- und Grundschulalter geht es eher ums Nachstellen, Einfühlen, Austesten. Um das Spielen, „als ob“, in kurzen Sequenzen meist. Eigentlich können wir Erziehenden froh sein, wenn wir etwas davon mitbekommen. Wenn unser Kind gar mit Fragen zu uns kommt, davon erzählt. Das ist eine Ehre! Sie beweisen damit großes Vertrauen in uns, zu uns als Erziehende. Wir können buchstäblich miteinander reden. Da ist schonviel gewonnen. Außerdem ist die Situation eine echte Chance: Jetzt ist ein guter Moment, um freundlich Regeln mitzugeben für das so genannte Doktorspiel. Diese Regeln kann man weitergeben mit den Worten: „Einfach, damit du dich beim Spielen immer wohlfühlst. Damit keiner etwas macht, was du nicht willst. Denn du weisst ja: manchmal fühlt sich ein Spiel blöd an, und das möchte ich nicht für dich. Gerade wenn es um deinen Körper und deine Gefühle geht, darfst du bestimmen.“ (Ach so, ja: kommt das Kind nicht mit Fragen oder so, gibt man die Regeln schon dem Kindergartenkind in einem anderen vertrauten Moment weiter, wenn das Kind sie schon verstehen kann.)

Regel Nummer eins: „Du bestimmst über deinen Körper“

Im Klartext: Keiner darf etwas anfassen, wenn der Andere das nicht möchte. Keiner darf eine Handlung von der Mitspielerin verlangen, die sich doof anfühlt, nicht richtig. Alle müssen einverstanden sein mit dem Spiel. Wehtun, das ist doch kein Spiel. Und Zwingen gehört auch nie zu einem guten Spiel. Wenn gedroht wird, hat das Kind, das zwingen will nämlich Angst – schließlich will er oder sie etwas Unerlaubtes tun und will dir oder anderen schaden.

Stopp-Strategie: „Du bestimmst, wann Schluss ist“

Auch das sollen Eltern klipp und klar sagen: „Wenn du „Nein“ sagst, muss der oder die andere aufhören. Und zwar egal, was andere sagen. Egal ob sie drohen oder dich zu erpressen versuchen.“ Kinder sollen wissen: Wenn sie in so einem Moment Hilfe holen, ist das kein Petzen. Wir Großen haben auch ein gutes Argument dafür: „Man holt ja auch die Polizei, wenn einer etwas Falsches getan hat, oder?“

Hier ist auch der Punkt, an dem wir Eltern mit dem Kind nochmal über gute und schlechte Geheimnisse sprechen könnten: gute Geheimnisse gehören zu tollen Überraschungen. Die darf man für sich behalten. Sie machen ein gutes Gefühl im Bauch. Schlechte Geheimnisse dagegen machen traurig oder Angst, weh im Herz, im Bauch, im Kopf. Die sollte man unbedingt mit Eltern teilen, dann schimpft keiner. Denn Eltern wollen nicht, dass ihr Kind traurig ist.

Mal nachfühlen: Ein bisschen Vorsicht ist gut, wenn das Kind uns dann wirklich einmal eine brenzlige, blöde Situation anvertraut. Dann ist Durchatmen angesagt, und sich mit dem Schimpfen zurückhalten (a la: „Wie konnte das denn passieren? Warum hast du dich in die Situation begeben, das gemacht“). Mir geht es manchmal so dass, solche Vorwürfe leicht herausrutschen, denn wir haben dann Angst um unser Kind, sind alarmiert und ärgern uns, weil etwas Negatives passiert ist. Statt dessen lohnt es sich erst einmal zu loben für das Vertrauen und gut zuzuhören. Zuerst zu trösten und zu verteidigen. Nachhören, wie die Situation wirlich für das Kind war. Und erst wenn wir uns selbst wieder ein wenig beruhigt haben, können wir dann sagen, dass wir selbst besorgt sind und es nicht gut war, was passiert ist. Und gehen die Regeln nochmal durch…

Klare Ansage: „Etwas Einführen ist nicht erlaubt“

Der Text von uns Großen lautet: „Nein, das ist dein Körper. Etwas in eine Öffnung einzuführen, was dort nicht hingehört, ist nicht erlaubt. Man kann sich dabei verletzen, Popo und Scheide sind empfindlich.“ Punkt. So ist das.

Altersbeschränkung: „Größere dürfen nicht mitspielen“

Warum? Dafür gibt es eine einleuchtende Antwort: weil Größere Kleinere ganz leicht zu Dingen bringen können, die sie nicht wollen oder nicht einmal einschätzen können. Schließlich weiß jedes Kind: Wer größer ist, ist stärker und hat mehr Ahnung. Diese Regel gilt übrigens auch unter Geschwistern. Im Fall von Körper- und Erkundungsspielen sagt man, dass eher nur Gleichaltrige miteinander spielen sollen, mit höchstens plus minus einem Jahr Altersunterschied. Dabei zählt die Einschätzung von uns Erwachsenen.

Der Hintergrund dieser Regel ist, dass ältere Kinder mehr Macht haben. Die könnten sie ausnutzen, und das wäre hier besonders fatal. Jüngere tun sich extrem schwer, Älteren gegenüber nein zu sagen, wenn sie nicht mitmachen möchten. Das kann übrigens sogar auch bei gleichaltrigen Kindern gelten, die als Anführern und Anführerinnen gelten oder denen das Kind gefallen will, weil es sie bewundert oder zum Freund, zur Freundin will, oder dazugehören.

Und nicht nur das Neinsagen fällt schwerer – ältere Kinder sind womöglich in der Entwicklung weiter, sie kommen eventuell schon mit anderen Vorstellungen und Fakten zur Sexualität in Berührung. Ob sie selbst überschauen oder nicht, was sie möglicherweise ausagieren, steht auf einem anderen Blatt. Manche Grenzübertretungen passieren sogar unbeabsichtigt, weil auch Größeren nicht klar ist, was da gemacht wird. Denn vielleicht hat das Kind die Handlung selbst nur irgendwo aufgeschnappt, abgeguckt. Darum ist bei solchen Konstellationen Vorsicht geboten. Es gilt, hier ein bisschen aufmerksamer zu beobachten was gespielt wird, wenn man das Gefühl hat, es gibt viel Heimlichkeit beim Spiel, die wir nicht einschätzen können.

Sanfte Kontrolle: Schau mal nach

Wer merkt, dass intim gespielt wird, tut gut daran, mal zwischendurch zu fragen: Was macht ihr? Alles okay? Dann sieht man an fröhlichen oder erschreckten Blicken sehr schnell, ob etwas im Argen liegt und Erwachsene handeln sollten.

Bei Angst und Bange: Warum sollen wir Doktorspiel nicht einfach ganz verbieten?

Darauf gebe ich eine direkte Anwort: weil wir auf diese Weise ein Entwicklungsbedürfnis unseres Kindes in falsche Schranken weisen. Wir nehmen nicht ernst, was das Spiel zeigt – nämlich, dass die Fragen rund um die Liebe unseren Nachwuchs gerade seeeehr beschäftigen. So sehr, dass die Kleinen auf Phantasie- und Spielwegen versuchen, ein Gefühl dafür zu bekommen. Positive Haltung zu finden dazu, andererseits vielleicht sogar auch die eigenen Grenzen zu wahren.

Wir sollten uns dann noch einmal vor Augen führen: in der Regel geht es Kita- und Schulkindern nicht um Begehren, um erwachsene Sexualität, um Erregung – so weit vor der Pubertät. Und das können wir dem Kind auch mal genau so mitgeben: „So richtig sexen (oder was Sie eben gerne vor dem Kind dazu sagen), das tun Kinder noch nicht, das tun nur Erwachsene.“ Gespielt werden meist nur kurze Sequenzen. Und auch das hat ein Ende: gewinnt in der Grundschulzeit das Schamgefühl Oberhand, ist das Spiel meist nicht mehr interessant.

Noch ein paar Argumente:

  • Ein Verbot tabuisiert das Thema. Es würde auch Liebe, Gefühle und den Körper in eine dunkle, negative Ecke stellen. Statt Panik zu verbreiten und dazu zu schweigen, sollte man Liebe hell und besprechbar halten.
  • Ein Verbot negiert den Entwicklungsstand und die -fragen des Kindes.
  • Im Gegenteil, das sage ich jetzt einfach nochmal: wir können die Situation als Chance nutzen. Gerade jetzt kann man ein gutes Gespräch führen. Das muss gar nicht lang sein. Mal ein paar Sätze über das Schöne an der Liebe. Natürlich dem Alter entsprechend, kurz und vereinfacht, aber sachlich richtig. Man kann erklären, dass es in intimen Situation hundertprozentig darum geht, sich wohlzufühlen und liebzuhaben. Es ist eine gute Gelegenheit, Regeln zu vermitteln dazu, wann man „Ja“ sagen kann zur Nähe und Intimität, wenn sich alles richtig anfühlt. Oder aber erfährt: ich darf, soll und muss „Nein“ sagen, mich dagegen entscheiden, wenn sich eine Situation falsch anfühlt.
  • Mal ehrlich: wichtiger als ein Verbot ist es, die Regeln zu vermitteln. Denn Verbote… haben wir als Kinder alle Verbote eingehalten? Führten Situationen mit Dritten nicht auch mal an Grenzen? Und gerade dann ist ein gutes Orientierungssystem das Allerwichtigste. Das bieten ja genau diese Regeln. Denn wir sind nicht immer dabei, wir können nicht alles verhindern. Aber wir solltend aktiv dabei werden, unsere Kinder für Situationen zu wappnen, in denen es darauf ankommt.
  • Und ja, es gibt eben auch positive Erfahrungen aus dem Spiel. Halb so wild, so sieht das beim anderen aus, fertig. Oder: Fühlt sich lustig an mit der liebsten Freundin, so vertraut, das ist ein spezielles Gefühl. Mal sehen, wie das später wird. Oder: Kann ich nichts mit anfangen, naja.

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